Mittwoch, 6. April 2016

Konzert-Kritik: Duo Abend Geige/Klavier

5.April, 2016
Klaviersalon Christophori, Berlin
Noé Inui & Mario Häring

Die beiden wollen gleich zu Beginn zeigen, was sie drauf haben und starten sehr schwungvoll und dynamisch in die Violinsonate No.3 Op.12 von Ludwig van Beethoven. Teilweise schwappt das Wasser etwas über und man merkt an manchen Stellen die rhythmische Akzente noch etwas wackeln. Doch gleich bei der Wiederholung des ersten Satzes wirkt das Ganze gefestigt, sehr stark und selbstbewusst. Man merkt ihnen den Spass am Spielen an. Zwar keine Meister, doch auf ihrem. Weg dorthin.

Dann eine Ankündigung des Pianisten Mario Häring: Motivation der beiden sei es, in Krisenzeiten wie heute, eine europäische Identität musikalisch festzumachen. Sie bringen dazu Werke zur Aufführung, die allesamt von europäischen Komponisten rund um den 1. Weltkrieg entstanden sind und wollen so ein europäisches Stimmungsbild einfangen, welches uns heute zur Identitätsfindung helfen kann.

Mit düsterer Kriegs-Stimmung geht es auch gleich los. Eine Violinsonate von Erwin Schulhoff. Ein mir bis dato unbekannter Komponist mit deutsch-böhmischen Wurzeln. Gleich zu Beginn, sehr dunkle Klangfarben. Dann folgen überraschender Weise einige, an Gershwin erinnernde, schwungvolle Momente. Und darauf sehr lange, zarte, hohe Töne der Geige. Gleichzeitig eine sehr kräftige Melodieführung von Noé Inui. Hier sehr beständig, mit viel Durchhaltekraft und schönem Leidensausdruck auf der Geige. Er konnte das Publikum dabei richtig in seinen Bann ziehen. Dazu auch viel Kraft am Bösendorfer Flügel, sehr trockener, angenehmer Klang, ohne viel Hall-Effekt.
Das Ende der Sonate, fast schon südamerikanisches Temperament. Oder sind es Zigeuner Klänge? Jedenfalls ungewöhnlich schwungvoll für einen Zentral-Europäer, dieser Schulhoff. Und wie geschaffen für unsere beiden Künstler. Die Aufführung machte Lust auf mehr von Erich Schulhoff. Die beiden sollten sich darauf konzentrieren, denn er liegt ihnen mmn. sehr.

Das Publikum war weiter gespannt.. Aber dann kam die (einzige) Violinsonate von Leos Janacek - mächtige Akkorde und starke Naturklänge als Melodien. Das Geigenspiel von Inui ist hier viel zu weich. Sofort verfliegt die Spannung im Saal und das Zusammenspiel von Geige und Klavier klafft manchmal richtig auseinander. Die Melodien der Geige von Janacek werden nicht richtig greifbar für den Hörer. Die angesprochene, gesuchte europäische Identität verschwimmt gerade ein wenig. Ein sehr hoher Anspruch auch. Ein sehr vielschichtiges, wildes Stück - jazzartige Sequenzen, dann atonales Gehämmer dicht gefolgt von kitschiger Neue-Welt-Romantik - sehr schwierig einzufangen. Mein Eindruck war, die beiden haben sich dabei ein bisschen übernommen.
Jetzt lag es ganz an ihnen, den Zuhörer wieder einzufangen. Man merkte - das Publikum hofft. Nervosität. Spannung im Raum, ein paar Gläser klirren, als sie in den Zuschauerreihen umgestossen werden. Am Betonboden in diesem alten Seitenflügel der Fabrikshalle, wo auf der Bühne, hinter dem eigentlichen Konzertflügel, lässig ein paar alte Flügel herumstehen. Lockere Stimmung hier in Berlin.

Dann die ersten zarten Melodien der Violinsonate No.2 von Ravel. Mario Häring und Noé Inui at their best. Da war sie wieder, die Spannung, die Leidenschaft ! Die Harmonie des Konzert-Duos war mit einem Mal auf der Bühne wieder da. Fantastisch dichtes Zusammenspiel der beiden bestaunte und beruhigte die Zuschauer. Wie wenn die spanische Nationalmannschaft mit ihren Gegnern Ticitaca im Europafinale spielen, wie wenn Franz Beckenbauer und Pele blind am Fussballfeld einander zupassen, zackig und gewitzt, mit Humor und Finesse. Und jeder Pass sitzt, kommt dort an wo er erwartet wird. 
Der zweite Satz von Ravel, eine Persiflage über den Blues, einfach zauberhaft. Inui schlägt die ersten Pizzicato Akkorde, völlig losgelöst, an, Häring setzt gefühlvoll dazu ein und jede einzelne Note war fühlbar, fand Anklang beim Publikum ! Die 20er Jahre Europas waren spürbar, wie wenn das Publikum auf einmal in eine Zeitmaschine gesetzt wurde; wir sassen plötzlich in einem Burlesquetheater - verrauchte, verruchte Atmosphäre, witzige Tanz- und Showeinlagen. So stark wirkte die Musik. Eine wunderbare Leistung des Geigers Noé Inui, der hier hervorzuheben ist. Die sensible Zurückhaltung des Pianisten und dessen Hervorstechen wiederum in den richtigen Momenten zeichnete die Gesamt-Stärke des Duos aus.

Danach Szymanowsky - Nocturne und Tarantella. Technisch wiederum sehr anspruchsvoll.
Leider auch hier, wie bei Beethoven, meiner Meinung nach eine Klasse zu hoch für das junge Duo. Persönlich wirkte das Ganze auf mich teilweise etwas zerstückelt und etwas holprig. Irgendwie unübersichtlich. Vielleicht lag es aber auch an der Komposition selber. Wahrscheinlich auch der organisatorische Umstand Schuld, dass ein derart kompliziertes Stück zum Schluss eines Abend-Programms gespielt wird. 
Wie gesagt, vielleicht wäre eine einfachere, klarere, weniger breit gefächerte Programm-Zusammenstellung besser gewesen, um die europäische Identität so noch schärfer herausgearbeitet zu bekommen.

Danach wurden von Inui, der wie sein Bühnen-Partner Häring einen sehr sympathischen Eindruck machte, zwei Wiener Lieder als Zugabe angekündigt. Versöhnliche Klänge also zum Abschluss. Leider beide Male vom Blatt gespielt - ein absolutes "No-Go" für Stücke des Violin-Virtuosen Fritz Kreisler, der selber angeblich nur schlecht vom Blatt spielen konnte. Da war dann die Sponataneität, Authentizität einer zünftigen Heurigen-Atmosphäre nicht spürbar. Zwar schien dann und wann die gemütliche, Alt-Wiener-Eleganz eines Hans Mosers durch, doch wären vielleicht etwas dunklere, oder auch etwas witzigere Töne angebracht gewesen. Plötzlich irgendwie zu kitschig das Ganze.

Ein alles in allem aber sehr interessanter Abend mit neuen, besonderen Klangeindrücken und einem sympathischen Duo im Klaviersalon Christophori.

Auf dass der Erfolg den beiden nicht zu Kopfe steigt und dass sie weiter neue, "alte" Stücke auf diese Bühnen der Welt bringen. Der Pianist Mario Häring tritt übrigens am 5. Juni mit dem 2. Klavierkonzert von Rachmaninov in der Berliner Philharmonie auf.